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Nes Ammim – Persönliche Erinnerungen von Thomas Kremers

 

1963

Im Geburtsjahr von Nes Ammim war ich das erste Mal mit neun Jahren in Israel: Im Rahmen der deutsch-israelischen und christlich-jüdischen Verständigung leitete Prof. Heinz Kremers, mein Vater, eine Studentengruppe der Pädagogischen Hochschule Kettwig nach Nachal Oz in der Nähe des Gaza-Streifens und nahm uns als Familie mit nach Israel. Ich genoss das freie Leben im Kibbuz und war begeistert von dem Land. Bei unseren Reisen durchs Land stolperte ich permanent über antike Ruinen, sammelte alte Scherben und wollte später Archäologe werden. Auch bekam ich schon bei einem nächtlichen Guerillaangriff aus dem Gazastreifen einen ersten Eindruck von den schwierigen Realitäten in Israel. In Nes Ammim war ich allerdings noch nicht.

Im Memorandum von 1960 waren zwei zentrale Ziele für die zukünftige christliche Siedlung formuliert worden: Nes Ammim sollte ein Zeichen für die Völker werden, indem es die Entwicklung des jungen Staates Israel ökonomisch unterstützen und einen Dialog zwischen Juden und Christen initiieren sollte. Verständlicherweise gab es allerdings so kurz nach der barbarischen Judenverfolgung und Massenvernichtung von Juden im NS-Regime in den ersten Jahren starken Widerstand aus den umliegenden Siedlungen gegen deutsche Siedler in Nes Ammim. Deshalb war es ein Meilenstein in der Geschichte Nes Ammims, als mein Vaters während seines Gastsemesters an der Hebräischen Universität in Jerusalem seine Familie für vier Monate mit nach Nes Ammim nehmen durfte und wir damit als erste Deutsche in der Siedlung lebten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                               1963 in Nachal Oz

 

1968

Wenn ich heutige Fotos von Nes Ammim mit meinen Erinnerungen aus dem Jahre 1968 vergleiche, dann wird deutlich, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten das äußere Erscheinungsbild Nes Ammims erstaunlich verändert hat: Wie habe ich damals als Jugendlicher bspw. ein Schwimmbad vermisst, wenn ich verstaubt mit dem Gießen der Baumsetzlinge fertig war, die heute hohe Bäume sind. Wir wohnten zwar nicht im Bus der ersten Siedler, waren damals aber glücklich, dass wir aus den Baracken in eins der ersten fertiggestellten Häuser für Familien umziehen konnten. Ein Begegnungszentrum oder ein Hotel waren damals Luftschlösser, heute sind sie feste Bestandteile der Siedlung. Es hat sich also auf dem steinigen Brachland unglaublich viel verändert und damit signalisiert das Wort „Nes“, das auch mit Wunder übersetzt werden kann, eine beeindruckende Entwicklung.

1971

Ich schloss mich mit meinem Bruder Martin in den Sommerferien einer Studentengruppe an, die sechs Wochen in einem Kibbuz arbeiten und das Land bereisen wollte. Da aber mein Bruder ebenso zu jung für den Aufenthalt im Kibbuz war wie der Sohn einer Studentin, wurden wir in dem Kibbuz abgewiesen und zogen mit Michael Wichelhaus weiter nach Nes Ammim. Dort erwartete uns ein riesiges Baugelände für die zukünftigen Rosengewächshäuser. Neben der harten Arbeit unter der sengenden Sommersonne bereisten Michael und ich Israel und genossen eine heute kaum noch vorstellbare Freiheit: Sorglos schliefen wir bspw. nachts am Strand, ohne befürchten zu müssen, sofort von Wachen verhaftet zu werden. Noch hatte es nur vereinzelte Guerillaangriffe in Israel gegeben und das Leben in Israel war recht unbekümmert

 

 

1973-75

Nach diesen drei Aufenthalten in Israel war für mich klar, dass ich den Kriegsdienst verweigern würde und dann als Zivildienstleistender nach Israel gehen wollte. Der Nes Ammim Verein war sich allerdings unsicher, ob meine Entsendung sinnvoll sei, weil kurz vorher zwei deutsche Freiwillige unter Androhung von Gewalt aus Nes Ammim vertrieben worden waren. Ihnen war dann später ein weiterer Freiwilliger gefolgt. Nur Gustav Weber war als letzter Deutscher beharrlich im Dorf geblieben. Ich entschied mich trotz der schwierigen Lage, nach Nes Ammim zu gehen und kam Anfang Oktober 1973 in Nes Ammim an.

Ich war noch gar nicht richtig angekommen, als schon die Sirenen den Beginn des Jom-Kippur-Krieges ankündigten. Wenn nicht gerade Fliegeralarm war, arbeitete ich sechs Tage in der Woche nicht selten zehn oder mehr Stunden am Tag in den Rosengewächshäusern. Schnell wurde mir klar, dass sich Nes Ammim nicht nur durch die Vertreibung der deutschen Freiwilligen in einer Krise befand: Die 1965 begonnene Rosenzucht boomte und schluckte alle Kraft der ca. 100 Dorfbewohner. Ich schloss mich ich einer kleinen Gruppe von Dorfbewohnern um Johan Pilon an, die kritisierten, dass die Aufgabe Nes Ammims fast ausschließlich auf die ökonomische Unterstützung Israels reduziert wurde.

Zeit für Kontakte mit Israelis oder gar einen Dialog mit Juden war dagegen Mangelware. Wir beriefen uns in unserer Kritik am Maskir, der als Gemeindevorsteher auch gleichzeitig der Leiter der Rosenzucht war, auf das  Memorandum von 1960, in dem als die beiden zentralen Aufgaben für die zukünftige christliche Siedlung sowohl die ökonomische Unterstützung des jungen Staates Israel als auch ein Dialog formuliert wurde, der im alltäglichen Leben und Miteinander in Israel wurzeln sollte: Es sollte also nicht nur darum geben,  Israel mit „finanzieller Unterstützung zu helfen, sondern auch hinzuarbeiten auf gegenseitiges Wohlwollen und Verständnis auf dem Niveau menschlicher Beziehungen.“[1] 

Symptomatisch für diese Vereinseitigung der Ziele Nes Ammims war, dass das Begegnungszentrum zwar im Rohbau fertiggestellt war, aber die Arbeiten daran nicht fortgesetzt wurden. Deshalb entschieden wir uns im Februar 1974, die Arbeit in den Gewächshäusern niederzulegen und mit privaten Mitteln den Bau des Begegnungszentrums fortzusetzen. Die Konflikte im Dorf eskalierten und erst durch die Intervention des holländischen und des deutschen Nes Ammim Vorstandes konnte wieder eine Balance zwischen den ökonomischen Zielen und dem Auftrag zum Dialog hergestellt werden. Seit dieser Krise 1973/74 ist der christlich-jüdische Dialog wieder ein fester Bestandteil Nes Ammims.   

Trotz des Krieges blieben alle Dorfbewohner in einer für Israel sehr schwierigen Phase in Nes Ammim und zeigte damit ihre Solidarität mit Israel. Da die Niederlande Israel im Verlauf des Jom-Kippur-Krieges sehr standhaft unterstützt hatten, folgte eine Phase der holländischen Abende: Wir wurden von den Nachbarsiedlungen eingeladen, dort die holländische Kultur mit Volkstänzen, Liedvorträgen und Filmen vorzustellen. Gustav und mir wurde empfohlen, lieber Holländisch zu sprechen, damit wir nicht unangenehm auffielen. Leider führten diese sporadischen Auftritte nicht zu dauerhaften  Kontakten zwischen Dorfbewohnern und Israelis. Nicht nur in diesen Situationen fühlten wir uns eher wie Fremdkörper in diesem kleinen holländischen Dorf in Israel. So richtig feiern konnten Gustav und ich auch nicht den Sieg der deutschen Nationalmannschaft 1974 über die Niederlande im Finale der Fußballweltmeisterschaft, waren wir doch von gefrusteten Holländern umgeben.

Während ich den Krieg nicht als besonders bedrohlich empfunden hatte, spitzte sich die Situation im Norden Israels im Jahre 1974 dramatisch zu: Immer häufiger wurden Guerillaangriffe aus dem Libanon gegen israelische Siedlungen im Norden Israels geführt. Oft wurde ich nachts durch Maschinengewehre und den Lärm von Hubschraubern geweckt und Leuchtraketen strahlten am  nächtlichen Himmel. Wir machten uns große Sorgen, weil Nes Ammim eigentlich ein ideales Ziel für  potentielle palästinensische Geiselnehmer gewesen wäre. Schrittweise bauten wir eine eigene Wachmannschaft auf, da Nes Ammim im Gegensatz zu den gut bewachten Kibbuzim oder Moshavim gänzlich ungeschützt war.

Zunächst setzen sich einige Siedler nachts mit Trillerpfeifen auf die Häuser, um vor einem möglichen Angriff zu warnen. Dann liefen wir auch tagsüber mit einer Schrotflinte (ohne Patronen!) Wache, um unsere „Wehrhaftigkeit“ unter Beweis zu stellen. Schließlich erhielten wir als Ausländer von der israelischen Armee die Erlaubnis, Pistolen und alte Karabinergewehre tragen zu dürfen. Für mich war das eine äußerst schwierige Situation, weil ich schließlich in Israel einen Friedensdienst leisten wollte. Solange sich allerdings aus meiner Sicht das Dorf in Sinne einer kollektiven Selbstverteidigung schützte, konnte ich meine Teilnahme am Wachdienst rechtfertigen. Erst als die israelische Armee begann, die Siedler aus Nes Ammim auszubilden und in die Struktur der israelischen Armee einzugliedern, weigerten Gustav und ich uns, an der Ausbildung teilzunehmen. 

 

 

Ich werde nie vergessen, wie ich an meinem Abreisetag nach Deutschland morgens durch Gewehr- und Pistolenschüsse geweckt wurde. Sollte es mich nun doch noch nach am letzten Tag in Israel erwischen? Den Krieg und die Guerillaangriffe hatte ich unbeschadet überstanden und ausgerechnet am Ende meiner Zeit in Nes Ammim wurde die Siedlung angegriffen? Ich wollte an meinem letzten Tag in Israel nicht im Bett sterben, zog mich schnell an und schlich mich aus der Baracke. Erleichtert stellte ich schnell fest, dass die Wachmannschaft lediglich eine Übung durchgeführt hatte, um zu sehen, wer überhaupt bei einem Angriff durch den Lärm geweckt würde. Das waren zwar nur wenige, aber ich konnte dann doch noch in mein Flugzeug nach Deutschland steigen.

 



[1] Schoon/ Kremers: Nes Ammim, S. 172