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Thomas Kremers

Regionale Netzwerke durch Kooperatives Lernen - Moderatorenausbildung im südlichen Afrika

 

Ich fahre durch die Township Mondesa bei Swakopmund/Namibia und unterhalte mich mit Litus, einem schwarzen Jungen, der die 10. Klasse der Deutschen Schule in Swakopmund besucht. Er lernt Deutsch und ist stolz darauf, zur Schule gehen zu dürfen. Er sagt: “Education is the great equalizer.” Mit Bildung hofft er, dem Teufelskreis der Armut entkommen zu können. Seine Tante zeigt mir dieses für einen Deutschen unvorstellbare Leben mit Großfamilien in winzigen Häusern, die oft keine Elektrizität haben. Und das sind schon die „Privilegierten“, denn viele Schwarze leben in Wellblechbuden auf der staubigen Ebene, teilen sich mit mehreren Familien eine Toilette …

Noch vor wenigen Tagen hatte ich mit Carmen Druyen völlig geschafft im Flugzeug nach Namibia gesessen und mich gefragt, was ich dort eigentlich will. Vor drei Jahren hatte mich Norm Green, der das Kooperative Lernen in Deutschland durch viele Lehrerfortbildungen verbreitet hatte, gefragt, ob ich in Südafrika eine Lehrerfortbildung zum Kooperativen Lernen durchführen könne. Begeistert hatte ich zugesagt und Kontakt mit der Deutschen Schule in Johannesburg aufgenommen, ohne zu ahnen, welch großes Projekt sich nun entwickeln würde.

Ich hatte das Kooperative Lernen Anfang 2003 kennengelernt und war begeistert, wie positiv sich diese intensive Form der Gruppenarbeit auf meine Lerngruppen an der Gesamtschule Gesamtschule Emschertal auswirkte. Es zeigte sich, dass diese strukturierte Form der Partner- und Gruppenarbeit meinen Schülerinnen und Schüler aus Duisburg-Neumühl, die in einem sozial schwierigen Umfeld aufwachsen, eine klare Orientierung und hilfreiche Lernstruktur vermittelte. Alle Lerngruppen profitierten von diesem integrativen Ansatz, der auf der Basis einer sicheren Lernumgebung soziales Lernen mit fachlichem Lernen verbindet. Dies äußerte sich in größerem Selbstbewusstsein, besserer Lernleistungen und damit schließlich auch bessrer Noten der Lerngruppen, die kompetent diverse kooperative Verfahren praktizierten.

Im Schuljahr 2003/04 begann ich zunächst an  der eigenen Schule mit schulinternen Fortbildungen zum Kooperativen Lernen, die seitdem regelmäßig mit verschiedenen Teilen des Kollegiums durchgeführt werden. Es bildeten sich so schrittweise neue Formen der kollegialen Kooperation aus. Das Kooperative Lernen intensiviert somit nicht nur Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler sondern fördert ebenfalls die Kooperation im Kollegium und trägt damit wesentlich zur Schulentwicklung bei.

Das Kooperative Lernen ist ein integrativer Ansatz, in dem soziales und fachliches Lernen miteinander verbunden wird. Auch werden durch den permanenten  Ideenaustausch zwischen den Schülerinnen und Schülern kommunikative Kompetenzen gefördert. So trägt dieses Konzept zu einer Schüleraktivierung bei. Die Entwicklung von Teamfähigkeit ist ein wichtiger Beitrag zur Vermittlung einer für die heutige Wirtschaft zentralen beruflichen Schlüsselqualifikation. Ebenso wird aber die Persönlichkeitsentwicklung gefördert, indem der sich die Schülerinnen und Schüler grundlegende soziale Kompetenzen für das zukünftige Privatleben aneignen.

Das Kooperative Lernen trägt auch zu einer Vermittlung politischer Kompetenzen bei, indem wichtige Einstellungen und Handlungsweisen für das Leben in einer Demokratie vermittelt und einübt werden: Demokratische Prozesse basieren auf Einigungsprozessen, es müssen Kompromisse geschlossen werden und Mehrheitsentscheidungen müssen akzeptiert werden. Ebenfalls wird die Argumentationsfähigkeit der zukünftigen Staatsbürger gefördert.

Nachdem ich bei Norm und Kathy Green die Moderatorenausbildung zum Kooperativen  Lernen absolviert hatte, führte ich mit Carmen Druyen, die damals stellvertretende Leiterin des Reinhard und Max Mannesmann-Gymnasiums war, zunächst viele Lehrerfortbildungen zum Kooperativen Lernen in Duisburg durch. Anschließend bildeten wir ca. 40 Lehrkräfte zu Moderatorinnen aus, die dieses Konzept von Teamarbeit auch an weiteren Duisburger Schulen vermitteln sollten. So entstand in Duisburg ohne Förderung des Schulamtes oder von Dezernenten eine Graswurzelbewegung, durch die wichtige Anregungen sowohl für die Unterrichts- als auch die Schulentwicklung vieler Schulen in Duisburg gegeben wurden.

Unsere Idee war, dieses Duisburger Modell auch im südlichen Afrika umzusetzen. So flog ich mit Carmen Druyen 2009 zum ersten Mal nach Johannesburg. Mit einem Mietwagen fuhren wir an den Drakensbergen vorbei nach Hermannsburg, einer ehemaligen deutschen Missionsstation. Dieses Dorf liegt in Kwazulu-Natal, einer sehr afrikanisch geprägten Provinz Südafrikas. An der Deutschen Schule in Hermannsburg führten wir eine viertägige Multiplikatorenausbildung zum Kooperativen Lernen durch. Die Idee war, dass nicht einzelne LehrerInnen, sondern dass jeweils ein Team von ca. sechs KollegInnen aller Deutschen Schulen in Südafrika und Namibia  fortgebildet würde. Diese LehrerInnen hätten dann die Aufgabe, an ihren Schulen Fortbildungen für ihr Kollegium durchzuführen.

2010 führten wir die zweite Runde der Multiplikatorenausbildung durch, diesmal in Kapstadt. Die Deutsche Schule liegt am  Lions Head mit einem fantastischen Blick auf den Tafelberg und den Hafen von Kapstadt. Nach nun acht Fortbildungstagen war die Ausbildung der MultiplikatorInnen beendet, aber unser Traum war noch keineswegs realisiert: Wir wollten nicht nur die ohnehin privilegierten deutschen Schulen im südlichen Afrika weiter fördern, sondern hatten die Vision, dass diese Schulen im Rahmen regionaler Netzwerke wie in Duisburg mit staatlichen Schulen in Südafrika und Namibia kooperieren. Die Lernbedingungen an diesen staatlichen Schulen sind mit sehr großen Klassen und oft schlecht ausgebildeten LehrerInnen mit schlechten Materialien problematisch.

Warum sollte also nicht beispielsweise die MultiplikatorInnen der Deutschen Schule in Johannesburg Fortbildungen zum Kooperativen Lernen an Grundschulen in Soweto, einer schwarzen Township in der Nähe von Johannesburg  durchführen, deren SchülerInnen später auf die Deutsche Schule in Johannesburg gehen? Somit entstand die Idee, die MultiplikatorInnenausbildung noch einmal zu intensivieren, um die KollegInnen dafür zu qualifizieren, auch an anderen Schulen Fortbildungen zum Kooperativen Lernen durchzuführen. Eine Abfrage bei den TeilnehmerInne der Fortbildung zeigte, dass diese Idee auf einen fruchtbaren Boden stieß: Eine Kollegin aus Johannesburg, wo wir noch eine Fortbildung für das gesamt Kollegiums durhgeführt hatten, meinte, dass es ihr Traum sei, die Qualität des Unterrichts an einer Schule mit schwarzen Mädchen, an der sie vor einigen Jahren unterrichtet hatte, durch kooperative Verfahren zu verbessern.

Also planten wir für 2011 eine zusätzliche Fortbildung. Da wir eine Lehrerfortbildung an der Deutschen Schule in Windhoek durchführen sollten, hofften wir, dass die Moderatorenausbildung ebenfalls in der Hauptstadt Namibias stattfinden könnte. Nach einer langen Phase der Unsicherheit wurde uns dann im April 2011 grünes Licht für die beiden Lehrerfortbildungen in Windhoek gegeben. Zunächst führten wir eine Lehrerfortbildung mit großen Teilen des Kollegiums an der Deutsche Schule in Windhoek durch.

Groß war die Freude, als wir in Windhoek auf  achtzehn KollegInnen trafen, die wir bereits in Hermannsburg und in Kapstadt ausgebildet hatten. Wir vertieften die Ausbildung der MultiplikatorInnen, die in den zwei zurückliegenden zwei Jahren intensiv das Kooperative Lernen an ihren Schulen implementiert hatten, und bildeten diese zu ModeratorInnen aus, die nun an anderen deutschen aber ebenso an staatlichen Schulen Lehrerfortbildungen durchführen sollen. Nach drei intensiven Fortbildungstagen, bekamen die TeilnehmerInnen ihr Zertifikat als ModeratorInnen für das Kooperative Lernen.

Wir haben in Südafrika und Namibia viele engagierte Menschen kennen gelernt, die nicht nur die Kinder einer priviligierten Schicht im Blick hatten. Im Vorfeld haben wir uns oft die Frage gestellt, ob unsere Fortbildungen nicht zu einer Stabilisierung der ungerechten sozialen Strukturen beitragen würden. Eine legitime Frage, die man sich bezogen auf Südafrika und Namibia stellen kann. Immerhin gehört Namibia „zu den Ländern mit der ungerechtesten Einkommensverteilung der Welt.“ (Alexandra Fuller: Afrikas heile Flanke, in National Geographic, August 2011, S. 141). Welchen bildungspolitischen Stellenwert würden also Fortbildungen an Schulen haben, deren Schülerinnen und Schüler wohl eher zu den Privilegierten gehören?

Die Führung in Mondesa machte deutlich, dass es Schwarze gibt, die sich unter elenden Verhältnissen sozial engagieren und sich kreativ für ein besseres Leben einsetzen ... und damit genau die oft in Namibia gehörten Stereotype über „die Schwarzen“ in Frage stellen. Das gibt  Hoffnung für positive Veränderungsprozesse in Namibia, ebenso wie der Eindruck, dass viele schwarze und weiße Jugendliche heute viel offener miteinander umgehen. Somit hat nicht nur Titus eine Vision. Wir verbinden die Fortbildungen im südlichen Afrika mit einer Idee – der Hoffnung, dass diese Schulen über regionale Netzwerke mit staatlichen Schulen kooperieren. Unterrichts- und Schulentwicklung durch Kooperatives Lernen kann dann in das Umfeld der deutschen Schulen ausstrahlen und damit auch schwarze Regelschulen einbeziehen. Vielleicht kann das ein kleiner Beitrag zur Demokratisierung und sozialen Integration im südlichen Afrika sein.

Nun hoffen wir, dass sie an anderen Schulen in Namibia und in Südafrika auch weiterhin eine so gute Arbeit leisten, dass wir vielleicht in einem Jahr wieder eingeladen werden, um entweder an weiteren Schulen Fortbildungen durchzuführen oder weitere interessierte Lehrerinnen und Lehrer zu Moderatorinnen auszubilden.